Die Mathematik ist voller überraschender Verbindungen. Auf den ersten Blick scheinen Kettenbrüche, der berühmte Goldene Schnitt und die allgegenwärtige Fibonacci-Folge wenig miteinander zu tun zu haben. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich ein eleganter und tiefer Zusammenhang. Begleitet mich auf eine Reise, die diese drei Konzepte zusammenführt.


Was ist ein Kettenbruch? Ein kurzes Beispiel

Ein Kettenbruch ist eine Art, eine Zahl als eine Summe aus ihrem ganzzahligen Teil und dem Kehrwert eines anderen Ausdrucks darzustellen, der wiederum eine Summe aus einem ganzzahligen Teil und einem Kehrwert ist, und so weiter. Das klingt kompliziert, aber ein Beispiel macht es klar.

Nehmen wir die rationale Zahl $\frac{7}{5}$. Wir können sie wie folgt zerlegen:

$$ \frac{7}{5} = 1 + \frac{2}{5} $$

Jetzt nehmen wir den Kehrwert des Bruchteils:

$$ \frac{7}{5} = 1 + \frac{1}{\frac{5}{2}} $$

Und wiederholen den Prozess mit $\frac{5}{2}$:

$$ \frac{7}{5} = 1 + \frac{1}{2 + \frac{1}{2}} $$

Dieser Prozess endet hier, da der letzte Term eine ganze Zahl ist. Die Folge der ganzen Zahlen $[1, 2, 2]$ ist die Kettenbruchdarstellung von $\frac{7}{5}$. Für irrationale Zahlen wie $\pi$ oder $\sqrt{2}$ würde dieser Prozess unendlich weitergehen.


Der Goldene Schnitt als unendlicher Kettenbruch

Der Goldene Schnitt, oft mit dem griechischen Buchstaben $\phi$ (Phi) bezeichnet, ist eine besondere irrationale Zahl. Er ist die einzige positive Lösung der quadratischen Gleichung:

$$ x^2 - x - 1 = 0 $$

Um seine Kettenbruchentwicklung zu finden, formen wir die Gleichung einfach um. Zuerst isolieren wir $x^2$ und teilen dann durch $x$ (da $x \neq 0$):

$$ x^2 = x + 1 \implies x = 1 + \frac{1}{x} $$

Sehen Sie die Magie? Der Ausdruck auf der rechten Seite enthält wieder $x$. Wir können diesen $x$-Term nun rekursiv durch den gesamten Ausdruck $1 + \frac{1}{x}$ ersetzen:

$$ \phi = 1 + \frac{1}{\left(1 + \frac{1}{x}\right)} $$

Wenn wir das unendlich oft wiederholen, erhalten wir eine wunderschöne, unendliche Kettenbruchentwicklung, die nur aus Einsen besteht:

$$ \phi = 1 + \frac{1}{1 + \frac{1}{1 + \frac{1}{1 + \dots}}} $$

In der kompakten Schreibweise ist der Goldene Schnitt also einfach $[1; 1, 1, 1, \dots]$.


Näherung durch Konvergenten

Wenn wir einen unendlichen Kettenbruch an einer bestimmten Stelle "abschneiden", erhalten wir eine rationale Zahl, die eine Näherung des ursprünglichen Wertes darstellt. Diese Näherungen werden Konvergenten genannt. Schauen wir uns die Konvergenten des Goldenen Schnitts an:

Visualisierung der Konvergenten von $\phi$

$C_0 = [1] = 1$
$C_1 = [1; 1] = 1 + \frac{1}{1} = 2$
$C_2 = [1; 1, 1] = 1 + \frac{1}{1 + \frac{1}{1}} = \frac{3}{2}$
$C_3 = [1; 1, 1, 1] = 1 + \frac{1}{1 + \frac{1}{1 + \frac{1}{1}}} = \frac{5}{3}$

Erkennen Sie ein Muster in den Zählern und Nennern? Es sind die Fibonacci-Zahlen! Um zu beweisen, warum das so ist, brauchen wir eine allgemeine Formel für die Konvergenten.

Herleitung der rekursiven Formel

Sei ein allgemeiner Kettenbruch $[a_0; a_1, a_2, \dots]$ gegeben. Der $n$-te Konvergent $C_n = \frac{p_n}{q_n}$ hat die Form:

$$ C_n = a_0 + \frac{1}{a_1 + \frac{1}{\ddots + \frac{1}{a_n}}} $$

Die ersten Konvergenten sind:

  • $\frac{p_0}{q_0} = \frac{a_0}{1}$
  • $\frac{p_1}{q_1} = a_0 + \frac{1}{a_1} = \frac{a_1 a_0 + 1}{a_1}$
  • $\frac{p_2}{q_2} = a_0 + \frac{1}{a_1 + \frac{1}{a_2}} = \frac{a_2(a_1 a_0 + 1) + a_0}{a_2 a_1 + 1} = \frac{a_2 p_1 + p_0}{a_2 q_1 + q_0}$

Dies legt eine allgemeine rekursive Beziehung nahe. Man kann durch Induktion beweisen, dass für $n \ge 1$ gilt:

$p_n = a_n p_{n-1} + p_{n-2}$
$q_n = a_n q_{n-1} + q_{n-2}$

Um die Rekursion zu starten, definieren wir die Anfangswerte als $p_{-1} = 1$, $q_{-1} = 0$ sowie $p_0 = a_0$, $q_0 = 1$.

Beweis der Rekursionsformel (zum Ausklappen)

Wir beweisen die Formel $C_n = \frac{p_n}{q_n} = \frac{a_n p_{n-1} + p_{n-2}}{a_n q_{n-1} + q_{n-2}}$ mittels vollständiger Induktion.

Induktionsanfang ($n=1$):

Wir prüfen die Formel für $n=1$. Laut Definition ist $C_1 = \frac{p_1}{q_1} = \frac{a_1 a_0 + 1}{a_1}$.
Mit den Rekursionsformeln und unseren Startwerten ($p_0=a_0, p_{-1}=1$ und $q_0=1, q_{-1}=0$) erhalten wir:
$p_1 = a_1 p_0 + p_{-1} = a_1 a_0 + 1$
$q_1 = a_1 q_0 + q_{-1} = a_1 \cdot 1 + 0 = a_1$
Die Formel stimmt also für $n=1$. Der oben gezeigte Fall für $n=2$ bestätigt die Struktur ebenfalls.

Induktionsvoraussetzung:

Wir nehmen an, die Formel sei für einen beliebigen, aber festen Index $k \ge 1$ korrekt. Es gelte also:

$$ C_k = \frac{p_k}{q_k} = \frac{a_k p_{k-1} + p_{k-2}}{a_k q_{k-1} + q_{k-2}} $$

Induktionsschritt ($k \to k+1$):

Wir müssen zeigen, dass die Formel auch für $C_{k+1}$ gilt. Der Konvergent $C_{k+1} = [a_0; a_1, \dots, a_k, a_{k+1}]$ entsteht aus $C_k = [a_0; a_1, \dots, a_k]$, indem man den letzten Term $a_k$ durch den Ausdruck $(a_k + \frac{1}{a_{k+1}})$ ersetzt.

Wir können also die Formel für $C_k$ aus der Induktionsvoraussetzung nehmen und diese Ersetzung durchführen:

$$ C_{k+1} = \frac{\left(a_k + \frac{1}{a_{k+1}}\right) p_{k-1} + p_{k-2}}{\left(a_k + \frac{1}{a_{k+1}}\right) q_{k-1} + q_{k-2}} $$

Um den Doppelbruch aufzulösen, multiplizieren wir Zähler und Nenner mit $a_{k+1}$:

$$ C_{k+1} = \frac{(a_k a_{k+1} + 1) p_{k-1} + a_{k+1} p_{k-2}}{(a_k a_{k+1} + 1) q_{k-1} + a_{k+1} q_{k-2}} $$

Jetzt ordnen wir die Terme neu, um die Rekursionsstruktur wieder sichtbar zu machen:

$$ C_{k+1} = \frac{a_{k+1} (a_k p_{k-1}) + p_{k-1} + a_{k+1} p_{k-2}}{a_{k+1} (a_k q_{k-1}) + q_{k-1} + a_{k+1} q_{k-2}} $$

Wir klammern $a_{k+1}$ aus:

$$ C_{k+1} = \frac{a_{k+1} (a_k p_{k-1} + p_{k-2}) + p_{k-1}}{a_{k+1} (a_k q_{k-1} + q_{k-2}) + q_{k-1}} $$

Nach Induktionsvoraussetzung ist der Ausdruck in den Klammern genau $p_k$ bzw. $q_k$. Also können wir einsetzen:

$$ C_{k+1} = \frac{a_{k+1} p_k + p_{k-1}}{a_{k+1} q_k + q_{k-1}} $$

Dies ist exakt die gesuchte Form für $p_{k+1}$ und $q_{k+1}$. Damit ist der Beweis abgeschlossen.


Die Verbindung zur Fibonacci-Folge

Jetzt haben wir alle Werkzeuge beisammen. Wenden wir die rekursive Formel auf den Goldenen Schnitt an. Für $\phi$ ist die Kettenbruchentwicklung $[1; 1, 1, \dots]$, also sind alle $a_n = 1$ (für $n \ge 0$).

Die Rekursionsformeln für die Zähler ($p_n$) und Nenner ($q_n$) der Konvergenten von $\phi$ lauten somit:

$$ p_n = 1 \cdot p_{n-1} + p_{n-2} $$ $$ q_n = 1 \cdot q_{n-1} + q_{n-2} $$

Das ist exakt die Definitionsformel der Fibonacci-Folge ($F_k = F_{k-1} + F_{k-2}$)!

Berechnen wir die ersten Glieder mit den Startwerten ($a_0 = 1$):

  • $p_0 = a_0 = 1$
  • $q_0 = 1$
  • $p_1 = a_1 p_0 + p_{-1} = 1 \cdot 1 + 1 = 2$
  • $q_1 = a_1 q_0 + q_{-1} = 1 \cdot 1 + 0 = 1$
  • $p_2 = a_2 p_1 + p_0 = 1 \cdot 2 + 1 = 3$
  • $q_2 = a_2 q_1 + q_0 = 1 \cdot 1 + 1 = 2$
  • $p_3 = a_3 p_2 + p_1 = 1 \cdot 3 + 2 = 5$
  • $q_3 = a_3 q_2 + q_1 = 1 \cdot 2 + 1 = 3$

Wenn wir die Standard-Fibonacci-Folge betrachten ($F_1=1, F_2=1, F_3=2, F_4=3, F_5=5, \dots$), sehen wir:

$$ \frac{p_n}{q_n} = \frac{F_{n+2}}{F_{n+1}} $$

Die Konvergenten des Goldenen Schnitts sind also genau die Verhältnisse aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen. Dies zeigt, dass das Verhältnis $\frac{F_{k+1}}{F_k}$ mit wachsendem $k$ gegen den Goldenen Schnitt $\phi$ konvergiert.

Eine wahrhaft elegante Verbindung, die aus einer einfachen quadratischen Gleichung entsteht und drei große mathematische Ideen miteinander verwebt.

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